Zulässigkeit einer Spätehenklausel (BAG-Urteil vom 4.8.2015, 3 AZR 137/13)

In diesem kürzlich veröffentlichten Urteil hat das BAG eine Versorgungsregelung aus dem Jahr 1982, die als Voraussetzung für den Anspruch auf Witwenrente u.a. vorsieht, dass die Ehe vor der Vollendung des 60. Lebensjahres des Arbeitnehmers geschlossen wurde, insoweit für unzulässig erklärt. Diese sog. Spätehenklausel sei unwirksam, da sie eine unmittelbare und ungerechtfertigte Benachteiligung wegen des Alters darstelle.

Maßgeblich für die Entscheidung sind die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), insbesondere §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1, § 7 AGG, die u.a. eine unmittelbare Benachteiligung eines Arbeitnehmers auf Grund seines Alters verbieten. Das BAG sieht auch in § 10 AGG keine Rechtfertigung für diese Spätehenklausel. Diese Bestimmung erklärt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters für zulässig, „wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist“, sofern dieses Ziel mit angemessenen und erforderlichen Mitteln erreicht wird. Letzteres sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da der völlige Wegfall der Hinterbliebenenversorgung bei einer Eheschließung nach Vollendung des 60. Lebensjahres zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten führe. Nach der Argumentation des BAG dürfte jedoch derzeit eine Spätehenklausel, die z.B. auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis oder des Rentenbeginns des Arbeitnehmers anstelle der Vollendung seines 60. Lebensjahres abstellt, anders zu beurteilen sein, da dieser Zeitpunkt einen sachgerechteren Anknüpfungspunkt für eine Spätehenklausel darstellt.

In dem Urteil wird auch ausgeführt, dass die besondere Regelung des § 10 S. 3 Nr. 4 AGG zur „Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit“ nur die Alters- und Invaliditätsversorgung erfasse und nicht auf die Hinterbliebenenversorgung anwendbar sei.

Dieses Urteil zeigt, dass auch früher für zulässig gehaltene und nicht selten anzutreffende Regelungen als Folge des AGG und des entsprechenden europäischen Rechts (hier die Richtlinie 2000/78/EG) in Frage gestellt werden müssen. Seine Übertragbarkeit auf andere Versorgungsregelungen ist wegen der zahlreichen – hier nicht angesprochenen – Gesichtspunkte, unter denen die Zulässigkeit einer Spätehenklausel beurteilt werden kann und die vom BAG diskutiert werden, nicht leicht einzuschätzen und könnte beträchtlich von der genauen Formulierung des Ausschlusskriteriums abhängen.

Von besonderem Interesse ist auch, dass das BAG beiläufig die Zulässigkeit von Altersabstandsklauseln in Frage stellt (Rz. 83), die die Hinterbliebenenversorgung vom Altersabstand der beiden Ehegatten abhängig machen und die in der Praxis deutlich verbreiteter sein dürften als die dem Urteil zu Grunde liegende Spätehenklausel. Auch hier werden wohl die Konzeption und evtl. die Details der Ausgestaltung eine erhebliche Rolle für die Beurteilung der Zulässigkeit spielen.

Aktualisierung 1: Der EuGH hat mittlerweile in einem Urteil vom 24.11.2016 (C‐443/15, Parris) die Auffassung vertreten, dass im Zusammenhang mit der Richtlinie 2000/78/EG auch die Hinterbliebenenrente eine Form der Altersrente darstellen kann (EuGH-Urteil, Rz. 72). Dies steht im Widerspruch zur Urteilsbegründung des BAG (Rz. 49ff.), so dass vor einer Umsetzung dieses Urteils aus unserer Sicht die weitere Entwicklung der diesbezüglichen Rechtsprechung abgewartet werden kann.

Aktualisierung 2: Mit seinem Urteil vom 14.11.2017 (3 AZR 781/16) schließt sich das BAG nun der Ansicht des EuGH an, dass in diesem Zusammenhang zumindest unter bestimmten Umständen auch die Hinterbliebenenversorgung zur Alters- oder Invalidenversorgung gerechnet werden muss. Damit kann sich die Regelung des § 10 S. 3 Nr. 4 AGG hinsichtlich der Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters bei der Festsetzung von Altersgrenzen auch auf die Hinterbliebenenrente erstrecken.

Aktualisierung 3: In einem weiteren Urteil (BAG vom 20.2.2018, 3 AZR 43/17) werden Altersabstandsklauseln grundsätzlich als zulässig angesehen: „Sieht eine Regelung in einer Versorgungsordnung vor, dass Ehegatten nur dann eine Hinterbliebenenversorgung erhalten, wenn sie nicht mehr als 15 Jahre jünger als der Versorgungsberechtigte sind, liegt darin keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Diskriminierung wegen des Alters“ (Pressemitteilung Nr. 9/18 des BAG).