Auswirkungen einer nur befristeten Gewährung einer gesetzlichen Erwerbsminderungsrente auf eine betriebliche Invaliditätsversorgung (BAG-Urteil vom 13.7.2021, 3 AZR 445/20)

Das BAG stellt in dem Urteil klar, dass Invalidenrentner, die eine befristete Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, auch einen Anspruch auf eine betriebliche Invaliditätsrente haben können, selbst wenn die Pensionszusage dafür eine voraussichtlich dauerhafte Erwerbsminderung voraussetzt.

Die Versorgungszusage vom 2.1.2000 sieht im vorliegenden Fall u.a. vor, dass „bei Eintritt einer voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts […] lebenslänglich, längstens jedoch für die Dauer der Erwerbsunfähigkeit eine monatliche Invalidenrente“ gewährt wird.

Die Deutsche Rentenversicherung gewährte mit Rentenbescheid vom 7.6.2018 dem klagenden Rentner zunächst befristet, später als Dauerrente, eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem 1.6.2017. Die Befristung der Rente erfolgte entsprechend der üblichen Verfahrenspraxis mit der Begründung, dass es nach den medizinischen Untersuchungsbefunden nicht unwahrscheinlich sei, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden könne.

Der Kläger verlangte nun von seinem früheren Arbeitgeber rückwirkend ab dem 1.6.2017 eine Erwerbsminderungsrente aufgrund der Versorgungszusage. Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, dass eine befristet bewilligte (volle) Erwerbsminderungsrente nicht die Voraussetzung der Pensionszusage einer „voraussichtlich dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ erfülle.

Das BAG gibt nun dem Kläger Recht, da er die Voraussetzungen für die Gewährung einer Invalidenrente nach der Versorgungszusage bereits seit dem 1.6.2017 erfülle. Der Rentenbescheid vom 7.6.2018 belege nämlich, dass beim Kläger seit dem 1.6.2017 eine voraussichtlich dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts vorgelegen habe. Damit seien die Voraussetzungen der Versorgungszusage entsprechend deren Auslegung nach den für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geltenden Regelungen erfüllt (Rn. 13ff.):

Nach der Versorgungszusage bestehe ein Anspruch auf die betriebliche Invalidenrente, wenn der Versorgungsberechtigte voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI sei und deshalb eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sei bei der Auslegung der Begriffe der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit in Versorgungsbestimmungen regelmäßig von einer Kopplung an das Sozialversicherungsrecht auszugehen. Der Arbeitgeber sei zwar nicht verpflichtet, sich am gesetzlichen Rentenversicherungsrecht zu orientieren. Definiere er jedoch die Begrifflichkeiten in der Versorgungszusage nicht selbst, so wolle er in der Regel die sozialversicherungsrechtlichen Gegebenheiten übernehmen (Rn. 17). Die streitgegenständliche Versorgungszusage beziehe sich ausdrücklich auf sozialversicherungsrechtliche Begrifflichkeiten („völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“) im Sinne einer dynamischen Verweisung (Rn. 18). Sowohl die Definition nach § 44 SGV VI aF als auch die Definition nach § 43 Abs. 2 SGB VI nF (seit 1.1.2001) setzten voraus, dass der Versicherte zur Erwerbstätigkeit „wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande“ sei. Damit müsse der Versicherte „voraussichtlich dauernd“, aber nicht zwingend endgültig erwerbsunfähig bzw. erwerbsgemindert sei (Rn. 22).

Für die Definition des Versorgungsfalls nach der vorliegenden Versorgungszusage („voraussichtlich dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts“) komme es damit nicht auf die Frage an, ob die Rente von der gesetzlichen Rentenversicherung als befristete Rente oder als unbefristete Dauerrente bewilligt wird. Die Versorgungszusage nehme lediglich auf die Regelungen nach § 44 SGB VI aF bzw. § 43 Abs. 2 SGB VI nF Bezug, also auf die Vorschriften über die materiellen Voraussetzungen einer an die Invalidität anknüpfenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Nicht in Bezug genommen werden die in §§ 99 ff. SGB VI geregelten Verfahrensvorschriften der befristeten oder unbefristeten Bewilligung einer Rente, die insoweit auch nicht den Begriff der dauernden völligen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Sozialversicherungsrechts festlegen, den die Versorgungszusage aufgreift (Rn. 23).

Das Urteil des BAG illustriert, dass Arbeitgeber sich möglichst genau darüber im Klaren sein sollten, unter welchen Voraussetzungen sie eine betriebliche Invaliditätsleistung erbringen möchten, und dementsprechend unzweifelhaft auch ihre Versorgungszusage formulieren. Es ist dabei grundsätzlich möglich, den Invaliditätsbegriff in der Versorgungszusage abweichend vom Sozialversicherungsrecht festzulegen, wobei gegebenenfalls sonstige arbeitsrechtliche sowie steuerliche Aspekte bei der Definition zu beachten sind (vgl. hierzu auch das BMF-Schreiben vom 12.8.2021, IV C 5 – S 2333/19/10008 :017). Möglich ist aber, wie in der Praxis weit verbreitet, weiterhin auch der Verweis auf das Sozialversicherungsrecht, wobei der Gesamtzusammenhang des Sozialrechts, insbesondere Sinn und Zweck der Absicherung, berücksichtigt werden muss und nicht auf isolierte Regelungen abgestellt werden sollte. Übernimmt der Arbeitgeber dementsprechend die Begrifflichkeiten des Sozialversicherungsrechts, erfüllt (wie das Beispiel zeigt) wohl in der Regel auch die nur befristete Bewilligung der gesetzlichen Rente die Voraussetzungen einer voraussichtlich dauerhaften völligen Erwerbsunfähigkeit beziehungsweise vollständigen Erwerbsminderung.