Versorgungsausgleich: Versterben des Ausgleichsverpflichteten und Ermittlung des Ehezeitanteils und des Ausgleichswerts hinsichtlich Direktzusagen (BGH-Beschluss vom 11.1.2023, XII ZB 433/19)

In dem vorliegenden Beschluss zum Versorgungsausgleich beschäftigt sich der BGH zunächst mit der Frage der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde im Zusammenhang mit § 31 VersAusglG, nachdem der Ehemann während des Rechtsbeschwerdeverfahrens verstorben ist. Darüber hinaus nimmt er Stellung zur Ermittlung des Ehezeitanteils und des Ausgleichswerts, auch hinsichtlich des Spielraums des Versorgungsträgers betreffend die biometrischen Rechnungsgrundlagen und den Rechnungszins.

Im streitgegenständlichen Fall hatte der Ehemann in der Ehezeit (1.6.1983 bis 30.11.2004) neben einem gesetzlichen und einem berufsständischen Anrecht zwei betriebliche Anrechte erworben, die Ehefrau ein gesetzliches Anrecht. Die Antragstellerin ist Erbin und Rechtsnachfolgerin des während des Rechtsbeschwerdeverfahrens verstorbenen Ehemanns, wobei sich der Ehemann im Beschwerdeverfahren auf die beiden betrieblichen Anrechte beschränkt hatte (Rn. 2ff.).

I. BGH zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde

Die auf die betrieblichen Anrechte beschränkte Teilanfechtung sei möglich (Rn. 9). Es lägen keine besonderen Gründe vor, aufgrund derer sich die Prüfungs- und Abänderungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts auf weitere Anrechte erstrecke (Rn. 10). Es bestehe zwischen den betrieblichen Anrechten und den sonstigen einbezogenen Anrechten der Ehegatten keine wechselseitige Abhängigkeit, die eine Teilanfechtung ausschließen könne; eine solche sei auch nicht (nachträglich) durch den Tod des Ehemanns entstanden (Rn. 11). Die Rechtsprechung, dass eine Erstbeschwerde mit Blick auf § 31 VersAusglG nicht (mehr) auf den Ausgleich einzelner Versorgungsanrechte beschränkt werden könne, wenn ein Ehegatte nach Rechtskraft der Scheidung, aber vor der Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich verstirbt, könne auf den Tod eines Ehegatten während des Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht ohne weiteres übertragen werden. Sei, wie vorliegend im Jahr 2018, hinsichtlich der Entscheidung über einen Teil der Anrechte formelle Rechtskraft eingetreten, verbleibe es bei dieser Entscheidung, auch wenn der Ehemann vor Rechtskraft der Entscheidung über die noch nicht ausgeglichenen betrieblichen Anrechte stirbt, da eine Antragserweiterung durch Fristablauf nicht mehr möglich sei (Rn. 12ff.). Über die streitige Frage, wie § 31 VersAusglG in Fällen eines rechtskräftig durchgeführten Teilausgleichs anzuwenden sei, muss der BGH nicht entscheiden, da die Ehefrau ihren Teilhabeanspruch bezüglich der beiden betrieblichen Anrechte gegenüber der Antragstellerin gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 VersAusglG weiterverfolgen könne, ohne dass das Besserstellungsverbot des § 31 Abs. 2 S. 1 VersAusglG berührt oder eine unzulässige Begründung von Versorgungsanrechten zugunsten eines verstorbenen Ehegatten erfolgen würde (Rn. 19f.)

II. BGH zur Begründetheit der Rechtsbeschwerde

Der Versorgungsträger (1) durfte die Heubeck-Richttafeln 2005 G statt 2018 G als biometrische Rechnungsgrundlagen für die Barwertermittlung heranziehen (Rn. 25). Die offene Streitfrage, ob die Veröffentlichung der neugefassten Richttafeln im Jahr 2018 und die damit verbundene Aktualisierung der biometrischen Rechnungsgrundlagen als „tatsächliche Veränderung“ mit Bezug zur Ehezeit im Sinne von § 5 Abs. 2 S. 2 VersAusglG anzusehen sei, so dass sie der Barwertermittlung grundsätzlich auch in noch laufenden Verfahren mit einem Ehezeitende vor dem 31.12.2018 zugrunde gelegt werden müsse, oder aber die Anwendung der Sterbetafeln sich an deren Übernahme in der handelsbilanziellen Bewertung orientieren könne, muss vom BGH ebenfalls nicht entschieden werden. Denn selbst wenn gemäß der ersten Ansicht die Neufassung grundsätzlich zu berücksichtigen sei, dürfe der Tatrichter auch (wie im vorliegenden Fall) unter Beachtung des gesetzlichen Ermessensspielraums berücksichtigen, dass die materiellen Auswirkungen der modifizierten Richttafeln gerade in der von Scheidungs- und Versorgungsausgleichsverfahren besonders häufig betroffenen mittleren Altersgruppe eher gering ausfalle und die Heranziehung der Richttafeln 2005 in diesem Falle nicht beanstandet werden müsse (Rn. 29f.).

Rechtsfehlerhaft sei hingegen das auf die Teilungsordnung gestützte Vorgehen, bei einem länger zurückliegenden Ehezeitende als Abzinsungsfaktor nach billigem Ermessen den im Zeitpunkt des gerichtlichen Auskunftsersuchens maßgeblichen BilMoG-Rechnungszins und damit einen vollständig vom Bewertungsstichtag des Ehezeitendes losgelösten Zins heranzuziehen (Rn. 34). Ein betrieblicher Versorgungsträger könne zwar für die Barwertermittlung der künftigen Leistungen aus einer rückstellungsfinanzierten Direktzusage als Diskontierungszinssatz den BilMoG-Zins heranziehen. Aufgrund des in § 5 Abs. 2 S. 1 VersAusglG normierten Stichtagsprinzips sei in diesen Fällen aber monatsgenau derjenige Zinssatz zugrunde zu legen, der sich für das Ehezeitende aus den monatlich von der Deutschen Bundesbank bekannt gemachten Rechnungszinssätzen ergebe. Auf den Rechnungszinssatz am letzten Bilanzstichtag vor dem Ehezeitende könne nur abgestellt werden, wenn diese Wertverschiebung geringfügig erscheine (Rn. 32). Liegt das Ehezeitende vor dem Inkrafttreten des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) und der erstmaligen Veröffentlichung der BilMoG-Zinssätze im Dezember 2008, sei in den meisten Fällen ein Rechnungszinssatz ungefähr in einer Bandbreite zwischen dem erstveröffentlichten BilMoG-Zinssatz (5,25 %) und dem nach § 6a Abs. 3 S. 3 EStG für die steuerbilanzielle Bewertung maßgeblichen Zinssatz (6 %) nicht zu beanstanden (Rn. 33). Der Gesichtspunkt der Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs für den Versorgungsträger komme vorliegend nicht zum Tragen (Rn. 35). Auch die Teilungsordnung könne das Vorgehen nicht legitimieren, da ein Versorgungsträger nicht über das gesetzliche Stichtagsprinzip disponieren könne und die Regelung auch deshalb unangemessen sei, weil der Versorgungsträger einseitig wirtschaftliche Eigeninteressen bei der Wahl des Rechnungszinses gegenüber dem Ausgleichsberechtigten durchzusetzen könne (Rn. 36). Da diese Regelung jedoch nicht mit einer zu hohen Kürzung des Anrechts des Ehemanns einhergehe, führe der Rechtsfehler mangels materieller Beschwer nicht zur Aufhebung der Entscheidung (Rn. 37ff.).

Die Regelung in der Teilungsordnung, wonach es dem Versorgungsträger (1) in Fällen einer „unzumutbaren Belastung des Unternehmens“ gestattet ist, sich bei der Berechnung des Kürzungsbetrages vom Stichtag des Ehezeitendes zu lösen und eine Wertstellung auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich vorzunehmen, führe trotz rechtlicher Bedenken zu keiner Maßgabenanordnung (Rn. 42f.). Zwar seien die Familiengerichte grundsätzlich dazu befugt, die von ihnen geprüfte und in der Beschlussformel in Bezug genommene Teilungsordnung auch im Hinblick auf eine mögliche Benachteiligung des Ausgleichspflichtigen bei der Kürzung seines Anrechts zu untersuchen. Da sich der Versorgungsträger (1) jedoch für die rechtlich nicht zu beanstandende Berechnungsmethode (Ermittlung des Kürzungsbetrages auf das Ende der Ehezeit) entschieden habe, und das Familiengericht auch nur die Teilungsordnung hinsichtlich dieses Berechnungswegs geprüft und gebilligt habe, bedürfe es keiner familiengerichtlichen Intervention (Rn. 44f.).

Ohne Erfolg bleibt auch die Rechtsbeschwerde bezüglich des Anrechts beim Versorgungsträger (2) (Rn. 46f.).

Die Entscheidung zeigt, dass Versorgungsträger im Versorgungsausgleich durchaus einen Gestaltungs- und Ermessensspielraum haben, den sie im Rahmen des rechtlich Möglichen in ihrer Teilungsordnung nutzen, aber auch regelmäßig auf Aktualität nach Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderungen überprüfen sollten.