Einseitiges Kapitalwahlrecht des Arbeitgebers (BAG-Urteile vom 17.1.2023, 3 AZR 501/21 und 3 AZR 220/22)

In der betrieblichen Altersversorgung sehen Versorgungszusagen neben lebenslang laufenden Rentenleistungen immer häufiger ein Kapitalwahlrecht vor. Wenn dieses Kapitalwahlrecht einseitig vom Arbeitgeber ausgeübt werden kann, ist die Rechtmäßigkeit dieser Option grundsätzlich in Frage zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine versicherungsmathematisch gleichwertige Leistung handelt.

Das BAG bestätigt nun in zwei Urteilen zwar die grundsätzliche Möglichkeit eines einseitig vom Arbeitgeber ausübbaren Kapitalwahlrechtes, stellt jedoch gleichzeitig klar, dass sich aus der Abwägung der konkreten Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers ergeben muss, dass die Wahlrechtsausübung billigem Ermessen entspricht, was stets eine Einzelfallprüfung erfordert.

Beiden Urteilen liegt ein Sachverhalt zugrunde, wonach dem jeweiligen Arbeitgeber gemäß der Versorgungszusage (Direkt- bzw. Unterstützungskassenzusage) ein Wahlrecht zustand, die zugesagte lebenslange Rentenzahlung durch eine Kapitalabfindung zu ersetzen. Beide Arbeitgeber machten von der Kapitalwahlrechtsklausel, letztlich entgegen dem Willen des jeweiligen Arbeitnehmers, Gebrauch und änderten die Auszahlungsform der Rente zur Kapitalzahlung ab.

Gleichwertigkeit der Kapitalabfindung ist Grundvoraussetzung für eine wirksame Kapitalwahlrechtsklausel

Zunächst sei zu prüfen, ob es sich bei der Kapitalabfindung um eine zur Rente (mindestens) gleichwertige Leistung handele. Ein geringwertigeres Kapital führe von vornherein und unabhängig von einer weiteren Interessensabwägung zu einer für den Arbeitnehmer unzumutbaren und unwirksamen Regelung (so im Verfahren 3 AZR 220/22, Rz. 27ff.).

Denn die Kapitalwahlrechtsklausel sei an der Regelung des § 308 Nr. 4 BGB (Änderungsvorbehalt, da Ersetzungsbefugnis und keine Wahlschuld) zu prüfen, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder aber um eine Einmalbedingung handele, vgl. §§ 305 Abs. 1 S. 1, 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB. Danach sei eine gleichwertige Kapitalwahlrechtsklausel wirksam, wenn sie unter Berücksichtigung der Arbeitgeberinteressen für den Arbeitnehmer zumutbar sei, also die Arbeitgeber- die Arbeitnehmerinteressen überwögen.

Der Arbeitnehmer habe jedoch ein Interesse daran, dass ihm bereits erdientes Entgelt nicht im Nachhinein (teilweise) wieder entzogen wird, obwohl er seine Gegenleistungen während des bestehenden Arbeitsverhältnisses bereits vollständig erbracht hat. Dem könne durch eine wertgleiche Ersetzung Rechnung getragen werden, wobei laufende Rentenzahlungen und einmalige, wertgleiche Kapitalleistungen nach dem Betriebsrentengesetz grundsätzlich gleichwertige Formen der betrieblichen Altersversorgung seien. Die Interessensabwägung würde nicht von vorneherein zu einem überwiegenden Arbeitnehmerinteresse führen: Der Arbeitnehmer habe typischerweise ein Interesse an der Beibehaltung der zugesagten Rentenzahlungen, bei denen der Arbeitgeber das Langlebigkeitsrisiko unter Beachtung der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 BetrAVG trage. Eine Einmalzahlung führe in der Regel aufgrund der Progressionswirkung auch zu einer höheren Steuerlast des Versorgungsempfängers oder zu Nachteilen im Hinblick auf eine mögliche Zwangsvollstreckung (Pfändungsschutz von Kapitalleistungen nur bei Antrag/Tätigwerden des Arbeitnehmers). Der Arbeitgeber habe hingegen ein Interesse daran, sich im Zeitpunkt der Versorgungszusage vorzubehalten, die versprochene Zahlung laufender Renten mitsamt den damit einhergehenden Unsicherheiten und Unwägbarkeiten durch eine kalkulierbarere, wertgleiche Kapitalabfindung zu ersetzen. Der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer stehe aufgrund der Besonderheiten des Arbeitsrechts auch nicht von vornherein entgegen, dass in der Wahlrechtsklausel keine Gründe für die Ausübung der Ersetzungsbefugnis genannt seien.

Prüfung, ob Ausübung des Kapitalwahlrechts billigem Ermessen entspricht

Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Kapitalwahlrechtsausübung im Rahmen einer konkreten Interessensabwägung billigem Ermessen gemäß § 315 BGB entspricht, sei, dass Renten- und Kapitalzahlungen grundsätzlich gleichwertig sein müssten. Zugunsten des Arbeitgebers könne neben wirtschaftlichen Problemen und Veränderungen rechtlicher Rahmenbedingungen insbesondere auch berücksichtigt werden, dass er seinen seit der Zusageerteilung unvorhersehbar angestiegenen Verwaltungsaufwand reduzieren oder seinen Betrieb einstellen und deshalb die Versorgungszusagen früher erfüllen will, oder dass die Kapitalzahlung eine Leistungsverbesserung darstellt. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, trage dabei der bestimmungsberechtigte Arbeitgeber. Im Verfahren 3 AZR 501/21 konnte das BAG nicht darüber entscheiden, ob die Arbeitgeberinteressen überwiegen und damit billiges Ermessen vorliegt.

Ergäbe die Abwägung, dass die Wahlrechtsausübung billigem Ermessen entspricht, verstieße diese auch nicht gegen das Abfindungsverbot des § 3 BetrAVG, sofern das Wahlrecht bis zum Beginn des Leistungszeitraums ausgeübt werde.

Arbeitgeber mit einseitigen Kapitalwahlrechten, wobei das Kapital nicht wertgleich zur Rente ist, werden wohl eine Änderung der Versorgungszusage oder deren praktischer Handhabung prüfen müssen. In den anderen Fällen haben Arbeitgeber zunächst einen Abwägungsvorteil bei der Ermessensprüfung auf ihrer Seite. Jede Ermessensausübung birgt bei den nur beispielhaft aufgeführten Gesichtspunkten des BAG jedoch Risiken, sodass Arbeitgeber die Einführung oder Ausübung des Kapitalwahlrechts ebenfalls mit Vorsicht durchführen und jedenfalls die Ermessensausübung gut dokumentieren sollten.