Kapitalauszahlung im Rahmen der Direktzusage als ermäßigt zu besteuernde Vergütung für mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 23.4.2021, IX R 3/20)

Der BFH bestätigt in seinem aktuellen Urteil, dass die Auszahlung eines über mehrere Jahre im Wege der Entgeltumwandlung angesammelten Versorgungsguthabens als Einmalzahlung eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeit im Sinne des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (Außerordentliche Einkünfte) sein kann. Dem Merkmal der „Außerordentlichkeit“ stehe nicht entgegen, wenn daneben ein Versorgungsguthaben in einer hiervon getrennten arbeitgeberfinanzierten Versorgung desselben Arbeitgebers besteht, welches noch nicht zur Auszahlung gelangt ist.

Streitig zwischen dem Finanzamt und der ehemaligen Arbeitnehmerin (Klägerin) war, ob die im Zuge der Auflösung eines Versorgungsguthabens aus einer betrieblichen Altersversorgung vorgenommene Kapitalauszahlung nach § 34 EStG besteuert werden konnte.

Die ehemalige Arbeitgeberin der Klägerin bot ihren Mitarbeitern in der Konzernbetriebsvereinbarung eine betriebliche Altersversorgung als Direktzusage an, wobei das System aus einem arbeitgeberfinanzierten Basiskonto und einem optionalen, von der Klägerin genutzten und durch Entgeltumwandlung finanzierten Aufbaukonto bestand. Nach Eintritt des Versorgungsfalles errechnete sich die Leistung aus den auf dem jeweiligen Versorgungskonto (Aufbaukonto und Basiskonto) gutgeschriebenen Kapitalbausteinen. Das Versorgungskonto wurde grundsätzlich als Einmalkapital ausgezahlt, es hätte aber nach der Versorgungszusage auf Verlangen der Klägerin auch in Form von bis zu zehn Raten, als lebenslange monatliche Rente oder in einer Kombination ausgezahlt werden können. Die gewählte Auszahlungsoption konnte dabei für das Basiskonto und das Aufbaukonto unterschiedlich sein (Rn. 3).

Im Streitjahr erhielt die Klägerin das auf dem Aufbaukonto ausgewiesene Kapital als Einmalbetrag ausbezahlt. Hierfür beantragte die Klägerin die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG. Dies lehnte das Finanzamt mit der Begründung ab, dass die Kapitalauszahlung zu den Einkünften i.S. des § 22 Nr. 5 EStG gehöre, sodass § 34 EStG im Hinblick auf das bereits in der Versorgungszusage enthaltene Wahlrecht auf Kapitalauszahlung nicht zur Anwendung kommen könne (Rn. 6). Im Wege einer späteren Einspruchsentscheidung führte das Finanzamt aus, dass sämtliche Versorgungsleistungen aus der Direktzusage zwar zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 EStG führen. Sofern diese Versorgungsleistungen aber nicht fortlaufend, sondern in einer Summe ausbezahlt würden, handele es sich um ermäßigt zu besteuernde Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten nach § 34 EStG. Im vorliegenden Fall sei jedoch der Tatbestand der weiteren Voraussetzung der Zusammenballung nicht erfüllt, da es sich um eine (schädliche) Teilkapitalauszahlung handelte (Rn. 7).

Die hiergegen und für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG gerichtete Klage der Klägerin war erfolgreich: Die Einmalzahlung wurde vom  Finanzgericht München unter Berücksichtigung der vereinbarten Auszahlungsmodalitäten als Vergütung für mehrjährige Tätigkeit angesehen (Rn. 8). Zudem sei das Erfordernis der Außerordentlichkeit erfüllt, da die Auszahlung des auf dem Aufbaukonto angesparten Versorgungsguthabens in einem Betrag zu einer atypischen Zusammenballung von Einkünften führe (Rn. 9). Dem lasse sich auch nicht der Gesichtspunkt einer (schädlichen) Teilauszahlung eines einheitlichen Versorgungsanspruchs entgegenhalten (Rn. 10).

Mit der Revision rügt das Finanzamt erfolglos insbesondere die unzutreffende Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG. Der BFH entscheidet, dass § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG anzuwenden und dessen Voraussetzungen gegeben sind (Rn. 14):

Mit der Auszahlung des Versorgungsguthabens aus dem Aufbaukonto als Leistung aus einer Direktzusage habe die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG erzielt (Rn. 15). Die auf die Leistung entfallende Einkommensteuer sei nach § 34 Abs. 1 S. 2 bis 4 EStG zu berechnen (sog. Fünftelregelung). Notwendig für die Einordnung als außerordentliche Einkünfte ist, dass die zu begünstigenden Einkünfte in einem Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen. Diese Voraussetzungen sieht der BFH vorliegend als erfüllt an:

  1. Eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten lag vor (Rn. 23). Mehrjährig ist eine Tätigkeit, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 Halbsatz 2 EStG). Die Tätigkeit (Beitragszahlung) erfolgte im konkreten Fall für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend.
  2. Auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für die zusammengeballte Entlohnung waren gegeben (Rn. 30). Eine willkürliche, wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen schließt die Anwendung der Tarifbegünstigung auf mehrjährigen Arbeitslohn aus. Anhaltspunkte für eine solche willkürliche Zusammenballung allein aus steuerlichen Gründen bestanden im Streitfall nicht: Der in der Versorgungszusage –als Regelfall– vorgesehenen Option der Einmalauszahlung des Kapitals aus dem Aufbaukonto lagen vernünftige wirtschaftliche Gründe (Ausrichtung der Altersversorgung am Versorgungsbedürfnis der Mitarbeiter) zugrunde.
  3. Letztlich waren die Einkünfte auch außerordentlich (Rn. 31). Außerordentliche Einkünfte liegen vor, wenn es sich um eine atypische Zusammenballung von Einkünften handelt, die eine höhere Einkommensteuer auslösen könnte als dies bei einem verteilten Zufluss der Einnahmen der Fall gewesen wäre. Auch von einer (für die „Außerordentlichkeit“ schädlichen) Teilkapitalauszahlung eines einheitlichen Vertrags war nicht auszugehen; die gesamte Vertragskonstruktion trennte zwischen dem Basiskonto und dem Aufbaukonto (Rn. 37).

Dieses Urteil fügt sich in die bisherige Rechtsprechung und die Äußerungen der Finanzverwaltung ein:

Das BMF hat schon in seinem Schreiben vom 24.7.2013 (IV C 3 – S 2015/11/10002) klargestellt, dass laufende Versorgungsleistungen, die kapitalisiert wurden (Zusammenballung), als außerordentliche Einkünfte nach § 34 EStG zu besteuern sind, soweit es die Durchführungswege der Direktzusage und der Unterstützungskasse betrifft (Rn. 371); für die mittelbaren Durchführungswege galt (und gilt) das hingegen nicht (Rn. 372f.). Der BFH hat gleichermaßen für die Pensionskasse und damit sinngemäß für den mittelbaren Durchführungsweg die Nichtwendbarkeit des § 34 EStG mangels „Außerordentlichkeit“ festgestellt, wenn jedenfalls das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war (BFH, Urteil vom 20.9.2016 – X R 23/15).

Für die Praxis bedeutet das Urteil wohl, dass bei Einmalzahlungen aus einer Direktzusage im Rahmen eines Kapitalwahlrechts grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG eröffnet ist. Es ist aber weiterhin in jedem Einzelfall notwendig, die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen zur prüfen. Hierbei hat aber der BFH in seinem Urteil durchaus Hilfestellungen bei der Prüfung gegeben, indem er die jeweiligen Anforderungen konkretisiert hat. Und leider ist nicht auszuschließen, dass sowohl der Gesetzgeber, die Rechtsprechung oder die Finanzverwaltung in der Zukunft hiervon abweichende Regelungen treffen, sodass diese Thematik weiterhin mit Vorsicht zu bewerten ist.