Leistungshöhe nach Insolvenz des Arbeitgebers (EuGH-Urteil vom 9.9.2020, C-674/18 und C675/18)

Der große Einfluss des europäischen Rechts auf die betriebliche Altersversorgung in Deutschland zeigt sich wieder in einer neuen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Verträglichkeit des deutschen Rechts mit europäischen Richtlinien. Vor einigen Monaten bewog das EuGH-Urteil vom 19.12.2019 (C-168/18) den deutschen Gesetzgeber zur Einführung einer Insolvenzsicherungspflicht für Pensionskassenzusagen; der deutsche Gesetzgeber ging hier bezüglich der Höhe der abzusichernden Anrechte über die Forderungen des EuGH hinaus. Nun beschäftigt sich der EuGH mit der bestehenden deutschen Regelung zur Haftung des Erwerbers eines Unternehmens aus der Insolvenz und dem korrespondierenden Schutz der Pensionszusagen der betroffenen Arbeitnehmer durch den PSV.

Das Urteil beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen des BAG zu zwei Fällen mit endgehaltsabhängigen Pensionszusagen, in denen die klagenden Arbeitnehmer nach Insolvenz des ursprünglichen Arbeitgebers, der die Pensionszusagen erteilt hatte, und nach Ankauf des insolventen Unternehmens mit Betriebsübergang nach § 613a BGB insgesamt weniger als die ursprünglich zugesagte Leistung erhalten sollten. Der Grund für die Leistungsreduzierung ist in beiden Fällen letztlich, dass der PSV im Insolvenzfall nur die zu diesem Zeitpunkt gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften und auch nur in der bei einem dann angenommenen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gesetzlich vorgeschriebenen Höhe absichert. Der erwerbende neue Arbeitgeber muss dagegen nur für die ab dem Insolvenzzeitpunkt neu erdienten Anwartschaftsteile haften, so dass sich eine Differenz zu der Anwartschaftshöhe ergeben kann, die ohne Eintritt der Insolvenz erworben worden wäre. Im ersten vorliegenden Fall wurde die Anwartschaft erst nach dem Erwerb des Unternehmens aus der Insolvenz unverfallbar, so dass der PSV keine Leistungen erbringt und der neue Arbeitgeber die Anwartschaft nur zeitanteilig ab dem Erwerb übernimmt. Im zweiten Fall ist die Anwartschaft bei Eintritt der Insolvenz zwar bereits gesetzlich unverfallbar, so dass der PSV die Leistung für die Zeit bis zum Eintritt der Insolvenz übernimmt, entsprechend § 2a Abs. 1 BetrAVG (in aktueller Fassung) jedoch nur auf Grundlage des versorgungsfähigen Entgelts zum Insolvenzzeitpunkt und ohne Berücksichtigung des bis zum Eintritt des Versorgungsfalls weiter angestiegenen Entgelts.

In seinem Urteil vom 19.12.2019 hatte der EuGH bereits entschieden, dass auch für Pensionszusagen im Durchführungsweg der Pensionskasse nach Artikel 8 der Richtlinie 2008/94/EG ein Insolvenzschutz bestehen muss. In der Folge wurde das Betriebsrentengesetz geändert und auch für Pensionskassenzusagen ein Insolvenzschutz durch den PSV eingeführt, der allerdings nur insoweit greift, als die Pensionskasse die Leistungen gegenüber den arbeitsrechtlich zugesagten Leistungen kürzen muss.

Der EuGH weitet den Insolvenzschutz nun auf noch verfallbare Anwartschaften und die durch das Festschreiben der Bemessungsgrundlagen zum Zeitpunkt der Insolvenz entstehende Differenz aus, soweit andernfalls unverhältnismäßige Einbußen im Sinne von Artikel 8 der Richtlinie 2008/94/EG entstehen: „[Bei] einem Unternehmensübergang nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens [muss] der Schutz der Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer erworbenen Rechte oder Anwartschaften auf Leistungen bei Alter aus betrieblichen oder überbetrieblichen Zusatzversorgungseinrichtungen im Sinne von Art. 3 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2001/23 zumindest dem von Art. 8 der Richtlinie 2008/94 geforderten Schutzniveau gleichwertig sein“ (Rn. 74). Dieser Mindestschutz beinhaltet, „dass ein ehemaliger Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers mindestens die Hälfte der Leistungen bei Alter erhält, die sich aus den im Rahmen einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung erworbenen Rentenansprüchen ergeben, und dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten aufgibt, in diesem Fall jedem ehemaligen Arbeitnehmer im Fall der Zahlungsunfähigkeit seines Arbeitgebers eine Entschädigung zu garantieren, die mindestens der Hälfte seiner in einer betrieblichen Zusatzversorgungseinrichtung erworbenen Ansprüche entspricht“ (Rn. 79). Darüber hinaus besteht eine absolute Grenze für die Reduzierung der Leistungen: „Außerdem steht dieser Mindestschutz einer offensichtlich unverhältnismäßigen Kürzung der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eines Arbeitnehmers entgegen, die die Fähigkeit des Betroffenen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, schwerwiegend beeinträchtigt. Dies wäre bei einer Kürzung der Leistungen bei Alter für einen ehemaligen Arbeitnehmer der Fall, der wegen dieser Kürzung bereits unterhalb der vom Statistischen Amt der Europäischen Union (Eurostat) für den betreffenden Mitgliedstaat ermittelten Armutsgefährdungsschwelle lebt oder künftig leben müsste. Dieser Mindestschutz verlangt somit, dass ein Mitgliedstaat einem ehemaligen Arbeitnehmer, der einer solchen Kürzung seiner Leistungen bei Alter ausgesetzt ist, eine Entschädigung in Höhe eines Betrags garantiert, der zwar nicht notwendigerweise den gesamten erlittenen Verlust abdeckt, aber doch geeignet ist, dessen offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit abzuhelfen“ (Rn. 80). Dabei sind insbesondere die Bemessungsgrößen, etwa das versorgungsfähige Entgelt, bei Eintritt des Versorgungsfalls maßgeblich, nicht die zum Insolvenzzeitpunkt.

Die Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf die Anforderungen des EuGH ist derzeit noch nicht absehbar. Theoretisch kämen zur Erfüllung dieser Anforderungen z.B. ein völliger oder weitgehender Verzicht auf eine Unverfallbarkeitsfrist in Frage, aber auch ein jeweils erst bei Eintritt des Versorgungsfalls stattfindender Ausgleich aller durch die Insolvenz entstandenen Nachteile des Arbeitnehmers, oder auch ein Ausgleich nur insoweit als die vom EuGH genannten Mindestanforderungen ansonsten nicht erfüllt wären. Dabei wäre ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob der gesamte Ausgleich über den PSV (und damit letztendlich alle Beitragszahler) erfolgt oder auch durch den neuen Arbeitgeber, der den ursprünglichen Arbeitgeber aus der Insolvenz erworben hat. Im letzteren Fall würde der Erwerb von Betrieben aus der Insolvenz künftig erschwert, zumal der Umfang der auszugleichenden Leistungen deutlich höher sein könnte als im Fall des bereits geregelten Insolvenzschutzes von Pensionskassenzusagen. Auch Fragen der Gleichbehandlung mit nicht im Zusammenhang mit einer Insolvenz ausgeschiedenen Arbeitnehmern werden bei einer gesetzlichen Regelung zu berücksichtigen sein.