Voraussetzungen der Tarifermäßigung bei außerordentlichen Einkünften nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG (BFH-Urteil vom 15.12.2022, VI R 19/21)

Um die Auswirkung der Steuerprogression bei einer Vergütung zu verringern, die nur einmalig in einem einzigen Veranlagungszeitraum zufließt, aber aus einer mehrjährigen Tätigkeit resultiert, wird die Einkommensteuer durch § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG abweichend von der allgemeinen Berechnungsvorschrift geregelt. Die Voraussetzungen zur Anwendung dieser Vorschrift im Zusammenhang mit Kapitalzahlungen anlässlich eines Versorgungsfalls sind regelmäßig Prüfungsgegenstand beim BFH.

In dem aktuellen Urteil hat der BFH zu prüfen, inwieweit eine Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen noch die für die Anwendbarkeit notwendige Zusammenballung darstellt. Er stellt fest, dass eine Erstreckung der Auszahlung auf mehr als zwei Veranlagungsjahre unabhängig von den sonstigen Voraussetzungen eine Anwendung der Tarifermäßigungsvorschrift ausschließt.

Der Entscheidung liegt eine Pensionszusage einer GmbH an eine Mitgesellschafterin zugrunde. Die GmbH zahlte das „Alterskapital“ dabei nicht vereinbarungsgemäß als Einmalzahlung, sondern in Teilzahlungen aus (Teilzahlungen im Februar und April 2017 sowie jeweils in den Jahren 2018 und 2019).

Die Mitgesellschafterin beantragte, die Gesamtsumme der im Jahr 2017 bezogenen Leistungen als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte (Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) zu berücksichtigen. Nach dem BFH sind die Voraussetzungen dafür jedoch nicht gegeben:

Es handele sich bei dem „Alterskapital“ zwar um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i.S. von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, die eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG darstellen; eine Tätigkeit ist mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst.

Die Tarifbegünstigung setze aber als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in ständiger Rechtsprechung eine Entlohnung voraus, die aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form in grundsätzlich einem einzigen Veranlagungszeitraum erfolgt (Rn. 15f.).

Weder dieser Grundsatz noch die von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen (für Auszahlungen in zwei Veranlagungszeiträumen) sind im vorliegenden Fall nach Ansicht des BFH erfüllt. Es liege keine bloß geringfügige Nebenleistung vor, da die Geringfügigkeitsgrenze bei einer Teilzahlung von mehr als 10 % der Hauptleistung überschritten sei (Rn. 18 und 26). Es seien auch keine Gründe der sozialen Fürsorge für die Verteilung der Zahlung auf mehrere Veranlagungszeiträume gegeben (Rn. 19 und 27). Zudem sei die ursprünglich vereinbarte Einmalzahlung auch nicht wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe und der besonderen Verhältnisse der Zahlungspflichtigen auf mehrere Veranlagungszeiträume verteilt worden (Rn. 20 und 25). Entscheidend ist aber bereits, dass die Ausnahmen nur bei einer Auszahlung in zwei Veranlagungszeiträumen bestünden und daher vorliegend schon aufgrund der drei Veranlagungszeiträume die Tarifermäßigung nicht begründet werden könne (Rn. 24). An dem Ergebnis ändere sich auch nicht dadurch etwas, dass die Zahlung des „Alterskapitals“ ursprünglich in einer Summe vereinbart war und seine Auszahlung in drei Veranlagungszeiträumen auf Gründen beruhe, die der Gestaltungsfreiheit der Mitgesellschafterin entzogen waren (Rn. 25).

Soweit Kapitalzahlungen im Versorgungsfall aufgrund von Direktzusagen (entsprechend wohl auch Unterstützungskassenzusagen) erbracht werden, kann die Tarifermäßigungsvorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG einschlägig sein. Bei Auszahlungen in zwei Veranlagungszeiträumen gilt es dabei aber wie schon bisher zu beachten, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Vorschrift einschließlich der von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind. Sobald es sich um mehr als zwei Veranlagungszeiträume handelt, ist nach der derzeitigen Rechtslage die Tarifermäßigung von vornherein abzulehnen.