Kapitalwahlrecht: Besteuerung beim Arbeitnehmer (BFH-Urteil vom 20.9.2016, X R 23/15)

In dem dem BFH-Urteil vom 20.9.2016 zu Grunde liegenden Fall war die Besteuerung der von einer Pensionskasse als „Kapitalabfindung” gezahlten Altersleistung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG strittig. Darüber hinaus stellt das Gericht jedoch auch in Frage, ob die Förderung durch die nachgelagerte Versteuerung nach § 3 Nr. 63 EStG zu Recht gewährt wird, wenn die Zusage von vorneherein ein Kapitalwahlrecht vorsieht.

I. Besteuerung der Leistung

Die Besteuerung der Rentenleistungen einer Pensionskasse erfolgt grundsätzlich gemäß § 22 Nr. 5 EStG nur mit dem Ertragsanteil oder – z.B. wenn die Beiträge gemäß § 3 Nr. 63 EStG unversteuert blieben – in voller Höhe. Kapitalzahlungen werden dagegen grundsätzlich nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen besteuert, d.h. auf Basis der Differenz zwischen Kapitalzahlung und der Summe der entrichteten Beiträge. Wegen des verhältnismäßig hohen Auszahlungsbetrags wirkt sich die Steuerprogression u.U. stark aus, mit der Folge einer relativ hohen Steuerbelastung.

Soweit Beiträge für mehrere Jahre gezahlt wurden, könnte die Anwendung der progressionsmindernden Regelung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG in Frage kommen (sog. Fünftelungsregel), die jedoch auch voraussetzt, dass es sich um „außerordentliche Einkünfte” handelt. Der BFH hat nun im Fall einer aus Entgeltumwandlung nach § 3 Nr. 63 EStG finanzierten „Kapitalabfindung” einer Pensionskassenrente die Anwendung der Fünftelungsregelung verneint. Bei der Kapitalabfindung handele es sich nicht um außerordentliche Einkünfte i.S.d. § 34 EStG, denn Vergütungen für mehrjährige Tätigkeit seien nach ständiger Rechtsprechung „nur dann außerordentlich, wenn die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung” entspreche (Rz. 23).

Im vorliegenden Fall sah das Gericht weder einen nicht vertragsgemäßen noch einen atypischen Ablauf als gegeben an (Rz. 24ff.). Das Kapitalwahlrecht war ohne wesentliche Beschränkungen (als solche wurde u.a. das verlangte Einvernehmen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht betrachtet) von vorneherein in der Pensionskassenzusage enthalten und auch keine auslaufende Ausnahmeregelung oder auf Beiträge vor 2005 begrenzt, was u.U. anders zu beurteilen gewesen wäre (Rz. 26ff.). Ein solches von Anfang an in der Pensionszusage vorhandenes Kapitalwahlrecht sei zulässig, nicht atypisch und damit auch nicht außerordentlich. Dies entspricht im Ergebnis auch der Ansicht der Finanzverwaltung, die allerdings den Grund für die Nichtanwendung der Fünftelungsregelung darin sieht, dass weder eine Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit noch eine Entschädigung vorliege (BMF-Schreiben vom 24.7.2013, IV C 3 – S 2015/11/10002, Rz. 373; diesbezüglich anderer Ansicht aber nun der BFH in Rz. 21).

Fraglich wäre nun möglicherweise auch, wie die steuerliche Situation in Hinblick auf Direktzusagen und Unterstützungskassenzusagen zu beurteilen ist, die nach § 19 EStG zu besteuern sind. Hier sieht Rz. 371 des BMF-Schreibens vom 24.7.2013 in Kapitalzahlungen (nicht aber in Teilkapitalzahlungen) durchaus eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeit i.S.d. § 34 EStG. Ob sich die Argumentation des BFH im Fall der Pensionskasse auf die nicht versicherungsförmigen Durchführungswege überträgt und dann auch hier die Anwendung der Fünftelungsregel bei Kapitalzahlungen abgelehnt wird, ist u.E. offen; die schwer verständliche steuerliche Lage ist jedenfalls der von der Politik gewünschten Förderung der betrieblichen Altersversorgung nicht zuträglich.

II. Kapitalwahlrecht und § 3 Nr. 63 EStG

Der BFH stellt fest, dass es für die Steuerbarkeit der Leistungen nicht darauf ankomme, ob die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 63 EStG zu Recht gewährt worden ist. Obwohl es damit nicht für das Urteil entscheidend war, äußert der BFH nun Zweifel, ob ein bestehendes Kapitalwahlrecht, selbst wenn es vom Arbeitnehmer wie im vorliegenden Fall nur im Einverständnis mit dem Arbeitgeber ausgeübt werden kann, überhaupt die Befreiung der Beiträge von der Steuer gemäß § 3 Nr. 63 EStG zulässt, jedenfalls wenn die Zusage keine besonderen weiteren Voraussetzungen vorsieht (Rz. 16). Grund dafür ist, dass § 3 Nr. 63 EStG als Auszahlungsformen nur eine Rente oder einen Auszahlungsplan gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 AltZertG vorsieht.

Bisher wurde entsprechend Rz. 312 des BMF-Schreibens vom 24.7.2013 allgemein davon ausgegangen, dass die bloße Existenz eines Kapitalwahlrechts unschädlich für die Anwendung des § 3 Nr. 63 EStG ist, solange das Wahlrecht nicht tatsächlich zugunsten einer Kapitalzahlung ausgeübt wird. Erst nach einer solchen Ausübung des Wahlrechts müssten die Beiträge versteuert werden. Der BFH scheint nun diese Sicht der Gesetzeslage in Zweifel zu ziehen. Da Kapitalwahlrechte gängige Bestandteile von nach § 3 Nr. 63 EStG behandelten versicherungsförmigen Pensionszusagen sind, hätte diese Interpretation weitreichende Folgen für die Besteuerung von Beiträgen und Leistungen sowie evtl. die Sozialversicherungsbeitragszahlungen.

Aktualisierung: Vgl. zu diesem Thema auch das neuere BFH-Urteil vom 6.5.2020, X R 7/19.