Sachlich-proportionale Gründe bei der Neuordnung einer Gesamtversorgung (BAG-Urteil vom 10.11.2015, 3 AZR 390/14 u.a.)

In einer Reihe von Urteilen zu ähnlich gelagerten Fällen zur Neuordnung von Gesamtversorgungssystemen hat das BAG in letzter Zeit die Anforderungen an die sog. sachlich-proportionalen Gründe präzisiert, die bei der Neuordnung von Versorgungsregelungen durch Betriebsvereinbarungen unter bestimmten Umständen vorliegen müssen.

Betroffen sind Veränderungen von Versorgungsregelungen, die Eingriffe der dritten Stufe im vom BAG zur Prüfung von Neuordnungen herangezogenen 3-Stufen-Schema darstellen. Dies bedeutet, dass weder in die arbeitsrechtlich erdiente unverfallbare Anwartschaft bei unterstelltem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis (erste Stufe) noch in die darauf ggf. entfallende Entgeltdynamik (zweite Stufe) eingegriffen wird, sondern dass ausschließlich die in künftigen Dienstzeiten erdienten Leistungen reduziert werden sollen. Ein Eingriff in eine Versorgungsregelung liegt dabei dann vor, wenn im Einzelfall die Leistung geringer ist als sie ohne die Neuordnung gewesen wäre, was in vielen Fällen erst bei Eintritt des Versorgungsfalls sicher festgestellt werden kann.

In einem Urteil vom 9.12.2014 (3 AZR 323/13) stellt das BAG bereits fest, dass unter den sachlich-proportionalen Gründen, die für Eingriffe in die dritte Stufe erforderlich sind, Gründe zu verstehen seien, die nachvollziehbar, anerkennenswert und damit willkürfrei seien. Diese Gründe können sowohl auf einer ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens beruhen als auch auf einer „Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung“.

In diesem Urteil führt das BAG weiter aus, unter welchen Umständen wirtschaftliche Schwierigkeiten des Unternehmens oder auch des Konzerns, zu dem das Unternehmen gehört, derartige Gründe darstellen können. Der Eingriff dürfe jedenfalls nicht unverhältnismäßig sein und müsse in ein auf die Beseitigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausgerichtetes Gesamtkonzept eingebettet sein. Im vorliegenden Fall werden vom BAG überzogene Anforderungen des Landesarbeitsgerichts an die Darlegung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens festgestellt.

Das aktuelle Urteil vom 10.11.2015 (3 AZR 390/14) folgt hinsichtlich der wirtschaftlichen Gründe für eine Neuordnung den Aussagen der vorhergehenden Urteile (vgl. auch BAG-Urteil vom 16.6.2015, 3 AZR 390/13), geht darüber hinaus aber auch auf den Begriff der „Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung“ ein (Rn. 39). Demnach könne von einer Fehlentwicklung ausgegangen werden, „wenn eine erhebliche, zum Zeitpunkt der Schaffung des Versorgungswerks unvorhersehbare Mehrbelastung eingetreten ist, die auf Änderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung oder im Steuerrecht beruht.“ Die Mehrbelastung sei dabei mittels versicherungsmathematischer Barwertberechnungen zu beurteilen, anhand derer die Versorgungsregelungen vor und nach der beabsichtigten Neuregelung zu vergleichen seien. Andere „externe kostenverursachende Faktoren, wie die Entgeltentwicklung und der Anstieg der Lebenserwartung“, seien dagegen zumindest bei geschlossenen Versorgungssystemen nicht zu berücksichtigen.

Durch eine Neuregelung aufgrund einer Fehlentwicklung der Altersversorgung darf der Barwert über den gesamten berechtigten Personenkreis hinweg nicht geringer werden als er ursprünglich, also bei Einrichtung der Versorgungsregelung, zu erwarten war. Es dürfen also nur die Auswirkungen der eigentlichen Fehlentwicklung beseitigt werden und nicht zugleich darüber hinaus gehende Einsparungen vorgenommen werden.

Diese Urteile bieten einerseits eine hilfreiche Klarstellung zu der schwierigen Anwendung des Begriffs der „sachlich-proportionalen Gründe“ auf konkrete Fälle, wobei natürlich im Einzelnen immer noch Fragen offenbleiben werden. Andererseits überrascht zunächst, dass bei der Beurteilung einer möglichen Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung andere „externe kostenverursachende Faktoren“ als die Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung und die des Steuerrechts außer Betracht bleiben sollten. Den Urteilen liegen allerdings Fälle zugrunde, bei denen ursprünglich vorhandene Gesamtversorgungssysteme abgelöst werden sollten, bei denen die genannten Faktoren die Kosten der Versorgung in besonders hohem Maße beeinflussen können. In anderen Versorgungssystemen können jedoch ganz andere Einflussgrößen wesentlich sein, so dass das Urteil hinsichtlich der Beurteilung einer Fehlentwicklung wohl nur auf Gesamtversorgungssysteme ausgerichtet ist.

Es wäre in der Tat schwer verständlich, warum es z.B. in einem Rentenbausteinsystem, das auf einer bestimmten Verzinsung von tatsächlichen oder fiktiven Beiträgen beruht, durch den Rückgang des Zinsniveaus in den letzten Jahren nicht ebenfalls zu einer Fehlentwicklung gekommen sein könnte. Diese Fehlentwicklung würde sich dann nicht in einer veränderten Leistungshöhe niederschlagen, sondern in einem höherem Wert der Zusage in einem finanziellen Umfeld, das sich völlig anders entwickelt hat als bei Einrichtung der Versorgungsregelung zu erwarten war. Insbesondere im Fall der Entgeltumwandlung, bei der gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG gerade Wertgleichheit von Beiträgen und Leistungen bestehen muss, dürfte die Möglichkeit einer solchen Fehlentwicklung offensichtlich sein.