Zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen (BFH-Urteil vom 1.9.2021, VI R 21/19)

Sowohl arbeits- wie auch steuerrechtlich kann die in der Praxis oft vorzunehmende Einordnung von zwei Versorgungsregelungen als einheitliche Zusage oder aber als zwei getrennte Zusagen beträchtliche Auswirkungen haben. Die Pauschalversteuerung von Direktversicherungsbeiträgen nach dem früheren § 40b EStG ist nur für vor dem Jahr 2005 erteilte Zusagen möglich (und nur, wenn vor dem 1.1.2018 mindestens ein Beitrag pauschalbesteuert wurde), so dass die Einordnung zusätzlicher, später geregelter Beiträge noch unter eine solche Altzusage oder unter eine eigenständige neue Zusage, die damit grundsätzlich nach § 3 Nr. 63 EStG zu versteuern wären, erhebliche Auswirkungen hat. In einem neuen Urteil beschäftigt sich der BFH mit dieser Abgrenzung zwischen Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen und führt dabei insbesondere aus, wie hierbei das Fehlen eines zusätzlichen biometrischen Risikos bei der zweiten Zusage zu bewerten ist.

Im vorliegenden Fall hatte der ehemalige Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine Versorgungszusage erteilt, nach der bei der A-Versicherung eine Direktversicherung abgeschlossen wurde (Versicherungsbeginn 1.1.1997). Der Arbeitgeber versteuerte die Versicherungsbeiträge pauschal nach § 40b EStG in der damals bzw. bis zum 31.12.2004 gültigen Fassung.

Im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und festgelegt in einem gerichtlichen Vergleich, erhielt der Arbeitnehmer insbesondere eine Abfindung, die der Arbeitgeber teilweise als einmalige Entgeltumwandlung nach der sog. Vervielfältigungsregelung gemäß § 3 Nr. 63 S. 4 EStG in der im Streitjahr (2014) geltenden Fassung in eine Direktversicherung bei der B-Versicherung einzuzahlen hatte.

Zwischen dem Finanzamt und dem Arbeitnehmer wurde streitig, ob diese einmalige Zahlung an die B-Versicherung tatsächlich nach der Vervielfältigungsregelung in § 3 Nr. 63 Satz 4 EStG in der damals gültigen Fassung steuerfrei sein könne (so der Arbeitnehmer) oder aber die Anwendung dieser Vorschrift nicht möglich sei, da der Arbeitnehmer im Rahmen der Direktversicherung bei der A-Versicherung – insgesamt – auf die Steuerfreiheit der Beiträge zugunsten der weiteren Anwendung des § 40b EStG a.F. verzichtet habe (so das Finanzamt und auch das Finanzgericht).

Der BFH hebt das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache an das Finanzgericht zurück: Die Direktversicherung bei der B-Versicherung basiere auf einer Neuzusage, was eine Anwendung des § 40b EStG a.F. ausschließe und grundsätzlich auch die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 63 EStG a.F. ermögliche. Ob aber die Vervielfältigungsregel des § 3 Nr. 63 S. 4 EStG a.F. greife, dessen Anwendungsbereich grundsätzlich eröffnet sei, könne er nicht abschließend entscheiden.

Ausführlich begründet der BFH, dass es sich bei der im Jahr 2014 getroffenen Vereinbarung zur Verwendung der Abfindung als Beitrag in die Direktversicherung bei der B-Versicherung um eine Neuzusage handle:

  • Für den Zeitpunkt, wann eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, sei „grundsätzlich die zu einem Rechtsanspruch führende arbeitsrechtliche bzw. betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgebend“ (Rn. 19).
  • Die Direktversicherung bei der B-Versicherung beruhe nicht auf der ursprünglichen (Alt-) Versorgungszusage. Sie habe ihren Rechtsgrund ausschließlich in der im gerichtlichen Vergleich protokollierten (Neu-)Zusage, welche zu der Versorgungszusage, die der Direktversicherung bei der A-Versicherung zu Grunde lag, hinzutrat (neuer Verpflichtungsgrund, keinerlei Bezugnahme).
  • Auch unter dem Grundsatz der Einheit der Versorgungszusage liege eine Neuzusage vor, da neben dem Erfordernis der unveränderten bisherigen Versorgungszusage auch keiner der in dem BMF-Schreiben vom 24.7.2013 (IV C 3 – S 2015/11/10002, IV C 5 – S 2333/09/10005, Rz. 351) genannten Beispielsfälle als weitere Voraussetzung erfüllt sei (Rn. 22).
  • Diesem Ergebnis stehe auch nicht entgegen, dass durch die Neuzusage die bisher erteilte Versorgungszusage nicht um zusätzliche biometrische Risiken erweitert wurde (Rn. 23). Das Fehlen oder das Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos könne zwar ein Indiz für eine einheitliche oder nicht einheitliche Versorgungszusage sein, eine gesetzliche Voraussetzung für das Vorliegen einer weiteren, selbständigen Versorgungszusage sei es – entgegen Rz. 355 des BMF-Schreibens vom 24.7.2013 – aber nicht (Rn. 26). Bei der konkreten Sachlage scheide im Ergebnis bei Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls trotz fehlenden neuen biometrischen Risikos das Vorliegen einer Altzusage aus (Rn. 27).

Aus der Einstufung als Neuzusage neben der pauschalbesteuerten Altzusage folge im Übrigen nicht, dass der Arbeitnehmer hierfür die Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 63 S. 4 EStG a.F. nicht in Anspruch nehmen könne: Der Anwendbarkeit des § 3 Nr. 63 S. 4 EStG a.F. stehe nicht der Umstand entgegen, dass der Arbeitgeber zugunsten des Klägers bereits zuvor eine pauschalversteuerte Altzusage erteilt habe (keine Sperrwirkung über § 52 Abs. 4 S. 12, da § 40b EStG a.F. von vornherein ausscheide).

Das Urteil zeigt bei einem praxisüblichen und einfach gelagerten Sachverhalt nicht nur auf, wie sich die Besteuerung in den versicherungsförmigen Durchführungswegen entwickelt hat, indem der BFH die Regelungen des § 3 Nr. 63 EStG, des § 40b EStG und auch deren zeitliche Anwendung im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 52 EStG zusammenfasst und beleuchtet. Er befasst sich dabei auch mit der entscheidenden Abgrenzung einer Alt- zu einer Neuzusage und stellt klar, dass die Frage, ob verschiedene Versorgungszusagen vorliegen, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beantworten ist, und verneint hierbei das (zwingende) Erfordernis eines zusätzlichen biometrischen Risikos für eine Neuzusage. Es ist anzunehmen, dass die Ausführungen des BFH nicht nur die Direktversicherung betreffen, sondern für sämtliche Abgrenzungen einer Altzusage zu einer Neuzusage heranzuziehen sind.